Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 13

24. Oktober 2021

Ich bin fertig gekleidet, unser Bühnenbild steht – nun warte ich auf Ilka. Und Ulf, der für Emma als Regisseur oder Erstgucker einspringt. Am Freitag haben wir unsere erste szenische Lesung aus dem „Briefwechsel“, im Freizeithaus Weißensee. Ich nehme an unter 3G-Regelung, die hoffentlich genauso vertrauensbasiert kontrolliert wird, wie am Theater am Rand. „Haben Sie eins der 3Gs?“. „Ja.“ „Dann herzlich willkommen!“

Heute in drei Wochen lesen wir im Theater unterm Dach. Ich fürchte, da gilt kontrollierte 3G-Regel. Aber: der Geschäftsführer will uns haben, wegen des Textes, gegen die Spaltung.

Wir sind konfrontiert. Ob wir es wollen oder nicht. Durch die neue Testregel – ich habe keine Ahnung, ob es wirklich nur noch einige wenige zugelassene Stellen gibt. Ich ignoriere die Testvorschriften und versuche, meinen Weg zu gehen und weiß nicht, ob die Schraube tatsächlich angezogen ist. Für viele rigoros. Für uns? Nicht existentiell. Womöglich aber konfrontativ.

Des Nachts liege ich immer wieder ein Weilchen wach. Irgendwann kommen dann Gedanken. Heute schweiften sie nach Usedom, zu Herberts Geburtstag in zwei Wochen. Werden wir wieder ins Café gehen? Es wird ganz sicher Testpflicht sein. Ohne Lilo, die sich, weil sie noch keine zwölf Jahre alt ist, nicht testen lassen muss, kommen wir auf vier Personen und eine Testgebühr von jeweils um die 20€.

Jens sagt, seine Eltern wollen unbedingt ins Café, na klar, das sei ihnen ganz wichtig. Deshalb ist er bereit zu zahlen. 80€ dafür, dass wir ins Café dürfen? Ohne mich. Jens führt an, wie viel seinen Eltern dieser ritualisierte Cafébesuch bedeute. Und wie viel sie zuletzt für uns bezahlt hätten.

Geht es hier um Jensens Eltern?

80€?, Jens zweifelt. „So viel, sagt er und schaut auf Lilo, „wird es nicht kosten“.  „Lilo habe ich schon rausgerechnet“, beeile ich mich zu sagen. „Bleiben vier. Mal 19,90€“. „Das ist es mir dieses eine Mal wert“, beharrt Jens.

Ich glaube, nicht nur dieses eine Mal. „Du würdest dich immer anpassen“, sage ich.

Jens schlug noch vor, unseren Aufwand, diese Testerei und die Unkosten dafür nicht an die große Glocke zu hängen, am besten gar nicht zu erwähnen. Dann würden es die anderen gar nicht bekommen. Schließlich seien unsere Probleme ja nicht ihre. Sie haben ihr G.  

„Doch“, sage ich, „sie sollen es mitbekommen, denn auch ihretwegen werden wir ausgegrenzt.“ Weil sie tolerieren. Weil sie mitmachen. Huuuu. Durchatmen. Aber so ist es!
Oder lassen sie ihre Vergnügungen sausen, um sich mit Ungeimpften zu solidarisieren?

Vermutlich werden wir uns von Sonja testen lassen. Ich habe keine Ahnung, ob sie noch berechtigt ist. Ob also auch ich noch berechtigt bin, mit unserem Johanniter-Onlinekurs-Zertifikat. Jens sagte, wir müssten mal schauen, ob wir noch testen dürften. Vielleicht schaut er dieses Mal aber lieber doch nicht. Die Testscheine sehen super aus und woher wollen die polnischen Kellner im Café Asgard wissen, wer in Berlin und Umgebung noch testen darf.


Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 12

23. Oktober 2021

„Wenn du ein Unglück malen willst, malst du ein Unglück. Es macht keinen Sinn etwas zu malen, was die anderen erwarten“, sagt der Papa in Judith Kerrs Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ zu Anna, seiner Tochter.

Jens riet mir neulich, den „Briefwechsel Teil II“ zwar jetzt zu schreiben, aber noch nicht jetzt zu drucken und zu veröffentlichen. Er empfahl mir, erst mal wieder mit einer Kindergeschichte weiterzumachen, einfach auch um Geld zu verdienen. Das spukt mir im Kopf. Weiß er, dass sich meine Kindergeschichte um das Virus Tabulara dreht?

Anna Kemper (alias Judith Kerr) fragt ihren Papa (alias Alfred Kerr) warum er gegen Hitler schreibt. Der Vater antwortet: „Ich habe keine Lust ängstlich zu sein.“

Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 11

22. Oktober 2021

Manchmal hat es den Anschein, es könnte sich demnächst vielleicht eventuell entspannen.  Zum Beispiel, wenn der Focus online schreibt, dass bei 80 Prozent der offiziellen Covid-Toten Corona wohl nicht die Todesursache ist (30. August 2021) und der Uckermark Kurier heute  über gehäufte Impfdurchbrüche in Pflegeheimen (in Bad Doberan inzwischen mit mehr als zehn Toten) berichtet und sich der Epidemiologe Emil Reisinger von der Universitätsmedizin Rostock deshalb für eine neue gesetzliche Impfregelung für Mitarbeiter in sensiblen Bereichen ausgesprochen hat.

Es ist unglaublich. Immer wieder finden sich Leute, die sich trotz augenscheinlicher Wiedersprüche vor den Karren spannen lassen.

Die Impfquote – welch Vokabular – unter den Heimbewohnern beträgt 94 Prozent, die unter dem Personal 70 Prozent. Nun frage ich mich, wer ist denn erkrankt und wer stirbt? Die Ungeimpften? Ich fürchte „nein“. Die Ungeimpften aber, das geht aus dem Subtext hervor, haben die Seuche eingeschleppt. Logisch.
Auch im Neunbrandenburger Bonhoeffer-Klinikum sind 13 Covid-Fälle aufgetreten. Wer ist dafür verantwortlich? Der UckermarkKurier schreibt: „Das Krankenhaus vermutet, dass eine ungeimpfte Mitarbeiterin das Virus eingeschleppt hat“. Ich frage mich, wie kann das gehen? Die wird doch mit Sicherheit jeden Tag getestet. Im Gegensatz zu ihren geimpften Kollegen.

Was kommt beim Leser an? Diese billige Meinungsmache …

Mein Osteopath meint, viele Leute bekämen schon mit, was hier gespielt wird – er erzählt von seinem Chef, der aber keinen Rückzieher machen kann, weil er dann entblößt dasteht und wohl fürchtet, seinen gut bezahlten Posten zu verlieren. Wie sagte Hans Joachim Maaz bei seinem Vortrag in der Malchower Kirche: Der Narzist kann und wird keinen Fehler zugeben. Offenbar ist unsere Gesellschaft noch viel, viel narzistischer als ich es je für möglich gehalten habe.

Und selbst wenn solche Ungeheuerlichkeiten wie die 80 Prozent, die offenbar – oh, wir Verschwörungstheoretiker – gar nicht an Corona gestorben sind, plötzlich in den Mainstreammedien publik gemacht also zugegeben werden, dann passiert gar nichts. Das wird überlesen, ignoriert … oder was???? Ich verstehe es nicht. Das ist doch ´ne Bombe (die wievielte inzwischen?), die alles hochgehen lassen müsste.

Macht sie aber nicht. Sie bewirkt gar nicht.

Da kann ich nur den Kopf schütteln. Und echt auch mal wütend werden. Eineinhalb Jahre kämpfe ich hier und meine Freunde, Familie, Kollegen, Vorbilder die machen alles mit, die nicken alles ab. Hatten die keinen Geschichtsunterricht? Sind die gutgläubig? Uninformiert? Bestrebt nicht aufzufallen? Egoistisch? Ah nein, das bin ja ich – weil ich mich nicht impfen lasse … Scheiße!!!

Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 10

21. Oktober 2021

Emmas Robert ist unglücklich. Er versteht seine Freunde nicht mehr. Um ihret Willen hat er sich impfen lassen. Durch Emma weiß ich, wie sehr er damit gerungen hat. Und Emma mit ihm. Gegen ihn. Gegen seine Freunde. Wie viele junge Menschen erachten auch die Freunde von Robert das Impfen als einen Akt der Solidarität. Robert ist 25. Mit den meisten seiner Freude verbindet ihn seit mehr als zehn Jahren ein enges Band. Corona hat es gespannt. Ziemlich straff. Die Impfung sollte es wieder lockern, geschmeidiger machen. Am Wochenende waren die Freunde zusammen unterwegs. Wenn man heute unterwegs ist, wird man unweigerlich mit der Frage nach 3- bzw. 2G konfrontiert. Wenn man 1G-eimpft ist, kann es aber auch passieren, dass man gar nicht mitbekommt, dass auf dem Weg von 3G zu 2G Menschen auf der Strecke bleiben.

Wo sind all diejenigen, die gesagt haben, wenn die Ungeimpften ausgeschlossen werden, bin ich der/die Erste, die auf die Straße geht? Gerade letzte Woche habe ich mich mit Sophie darüber unterhalten, über die Regeln, die an Unis Einzug halten, nach denen sich Studenten, die nicht geimpft sind, zwei, drei Mal die Woche testen lassen müssen – für zwei, drei Mal jeweils mindestens 19,90€. Andere Regeln schreiben vor, dass getestet, aber nicht geimpfte Personen, im Hörsaal in separaten Bereichen mit Abstand sitzen müssen. An der Medizinischen Fakultät in Neuruppin muss keine Maske getragen werden, solange alle Studierenden geimpft oder genesen sind. Sobald jedoch ein ungeimpfter Student dazukommt, müssen alle eine Maske aufsetzen. Da werden sich alle freuen.

Gestern schrieb die Frankfurter Rundschau, dass an der Frankfurter Universitätsklinik Personen, die weder geimpft noch genesen seien, nicht auf den Campus und noch weniger in die Hörsäale dürften.

Robert fragte seine Freunde, wie sie solche Regelungen fänden. Darauf, erzählte mir Emma, entbrannte eine heiße Diskussion, an deren Ende Robert sich, obwohl nun geimpft, dennoch nicht mehr ganz dazugehörig fühlte. So wie seine Freunde argumentieren, reicht es nicht, einfach nur geimpft zu sein, nein, man muss auch überzeugt geimpft sein und das impliziert offenbar den Ausschluss der Ungeimpften.

Am Wochenende ist Robert zu einer Party eingeladen. Emma sagt, er habe überhaupt keine Lust dorthin zu gehen.

Ich kann ihn verstehen. Er müsste etwas von sich abspalten. Will er das? Kann er das überhaupt?

Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit/ Tag 9

20. Oktober 2021

Gestern habe ich die erste Folge von „Cui bono“ gehört. Wie soll man unvoreingenommen sein, wenn in der Einführung gepriesen wird, dass das Amt für politische Bildung den Podcast gefördert habe und man auf den Seiten des Amtes ein Nachschlagewerk für Begriffe, wie zum Beispiel Verschwörungstheoretiker, eingerichtet habe. Die Sendung war interessant, aber der rote Faden ganz klar: Um berühmt zu werden, würde Jebsen so ziemlich alles tun. Berühmt zu werden, sei immer sein großes Ziel gewesen. Stagnation und rückläufige Zahlen machten ihn bockig und zunehmend politisch. Ich bin gespannt, wohin die Reise geht. Es ist gut gemacht, aber: über Ken Jebsen, nicht mit Ken Jebsen. Und ganz offensichtlich (jedenfalls für mich) mit einer Absicht.

Inga hatte gesagt, Ken Jebsen sei (vielleicht, das hatte Inga nicht klar formuliert) angefragt worden, habe sich aber bis heute nicht zu „Cui bono“ geäußert. Ich höre mal weiter und recherchiere nebenbei eine eventuelle Anfrage.

Steinchen und ihr Mann Claas haben auf ihrer dreiwöchigen Oder-Neiße-Radtour bei uns Rast gemacht. Wir hatten einen schönen redseeligen Abend. Komplett ohne Corona, wie ich heute Morgen unter der Dusche staunend rekapitulierte. Beim Frühstück kamen wir dann aber doch noch darauf zu sprechen. Durch Facebook wissen die beiden von meiner Haltung und ich glaube von ihrer zu wissen. Irgendwann Anfang des Jahres hatte Claas mal gefordert, dass das Schulpersonal bevorzugt geimpft werden sollte. Da Steinchen Erzieherin ist, nehme ich mal an, dass sie dringend  geimpft werden wollte.

Claas erzählte ein wenig, wie ihm die Maßnahmen zugesetzt haben. Vor allem das Homeoffice. Jeden Tag zu Hause, jeden Tag den gleichen Blick in den Garten. Natürlich weiß er, dass das Jammern auf hohem Niveau ist, das sagte er sich auch immer wieder, um es irgendwie auszuhalten. Er wollte raus, wollte Abwechslung, einfach mal was anderes sehen. Als Brillenträger macht ihm auch die Maske zu schaffen. Er hofft, das im nächsten Frühjahr alles vorbei sein wird und das Leben dann wieder wie vorher. Über Corona diskutieren mag er nicht. Die Fronten sind verhärtet. Das, was mein Ansinnen ist, sagt er, sei ungewöhnlich, das sei für andere gar nicht verständlich, Informationen streuen, um sich dann auszutauschen …

Über Herrn Wieler, diesen Tierarzt könne er nur lachen. Der widerspräche sich ja in einer Woche drei Mal. Damit hat auch das RKI für ihn keine Glaubwürdigkeit. Am schlimmsten aber fände er die senilen Herren von der STIKO, die sich dem politischen Druck gebeugt hätten. Ich habe nichts dazu gesagt. Ich denke, ich halte eine ganz andere Form des Drucks für möglich, als Claas sich jemals ausmalen könnte.