Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 8

19. Oktober 2021

Da standen wir nun im „Grünen Baum“, Jens mit Maske, ich ohne, vor einem maskierten Kellner, der seine Bücher nach meiner Reservierung wälzt und nachdem er diese gefunden hatte, fragt: „Sie haben eins der drei G´s?“ Nee, hatten wir natürlich nicht. „Ja, aber sie müssen geimpft, genesen oder getestet sein. Hat Ihnen das bei der Reservierung niemand gesagt?“ Nee. Und außerdem, nun ratterte ich mein gesamtes UckermarkKurier-Wissen herunter, ist doch in der Uckermark 3G außer Kraft gesetzt, weil die Inzidenz so niedrig ist. Bei 11,6. 3G gilt erst wieder ab 35.“ Uh, der Kellner war überfahren. Was sollte er tun? „Da muss ich meine Chefin fragen“. Die wusste zum Glück Bescheid. Jetzt galt es nur noch die Maskenpflicht zum Sitzplatz durchzusetzen. „Ich habe eine Befreiung – mit!“ Jens hub gerade an, mir erklären zu wollen, dass ich bis zum Platz, die paar Meter … dann fiel ihm wieder ein, dass es für mich (vor allem) auch eine Haltungsfrage ist.

Nun hatten wir ein Gesprächsthema. Meine Haltung. Aber die paar Meter bis zum Platz. Das, argumentierte Jens, sei doch der kleinste gemeinsame Nenner. Da würde ich zeigen, dass ich auf die Mehrheit zuginge. Die Mehrheit, alles klar. Die, das unterstelle bzw. höre ich ja alle überall, so genervt ist, dass sie nichts mehr hören will. Wie der Kellner, der nicht mal die geltenden Regeln mitbekommt. Die Mehrheit, die nicht hinterfragt. Was mache ich hier die ganze Zeit? Das tue ich doch nicht zum Spaß. Gerade bei der Maske hört es bei mir auf.

Dank der Aktion „AllesaufdenTisch“, habe ich gerade eine neue Erkenntnis. Die Sängerin Emily Instiful befragte den Lungenarzt und ehemaligen Ingenieur Professor Dr. Dieter Köhler zur Maske. Professor Köhler erklärte, dass es totaler Humbug sei, in einem Restaurant zum Tisch die Maske zu tragen, um sie dort dann abzunehmen. Große, offene, hohe Räume bergen so gut wie keine Ansteckungsgefahr. Die Aerosole streben sofort nach oben, unter die Decke. In kleinen, engen Räumen, wie zum Beispiel der Gaststättentoilette oder einem Fahrstuhl mache die Maske Sinn und sei zu fünfzig Prozent wirkungsvoll. Die anderen fünfzig Prozent entweichen an den Seiten der Maske. In einem Fahrstuhl, sagte er weiter, könne man sich sogar anstecken, wenn die infizierte Person selbst gar nicht mehr im Fahrstuhl sei. Überaus positiv fand ich, dass Professor Köhler offenbar niemand war, der den Aktionisten von „AllesaufdenTisch“ nach dem Mund redete. Masken für Kinder, ob die nun Sinn machten oder nicht, findet er komplett unbedenklich, dass die Kinder einen Schaden davon tragen würden, halte er für Quatsch. Emily Instifuls Gegenargumente ließ er nicht gelten.

Schön war, dass ich in Jens´ und meinem Streitgespräch dieses Mal keine Schärfe entdecken konnte, nur ein Sichverstehenwollen.

Jens würde gerne mit mir zusammen seine Schwester und deren Mann in den „Grünen Baum“ einladen. Ich mahnte: dann aber schnell, bevor 3G käme. Natürlich findet Jens einen Test nicht schlimm. Zwei Mal hat er sich bislang testen lassen, ganz vorsichtig, wurde ihm am Nasenflügel gebohrt – die Leute sagt er, hätten doch alle keinen Bock mehr. Ich kenne andere Geschichten. Tanja hatte noch vier Wochen nach dem Test das Gefühl, einen Fremdkörper in der Nase zu haben und war deshalb beim HNO. Unvergesslich ist mir Kathis Erzählung, wie ihrer kleinen Maxie das Stäbchen bis zum Anschlag ins Näschen gesteckt wurde. Wenn ich daran denke, tuts mir schon weh. Und Elke, sagte mir nach ihrem Test vor zwei Wochen, es habe tierisch gebrannt. Wenn es Not täte, würde ich das alles aushalten, aber ich bin davon überzeugt: es tut nicht not!

Wenn ich mich selbst beobachte, stelle ich fest, wie sehr ich auf der Hut bin, wie ich versuche auszuloten, wer wie denkt, wann und wo ich wie ankomme, ob da Ablehnung ist, Zustimmung, vielleicht sogar Freude oder einfach Seinlassen. Im „Grünen Baum“ hatte ich das Gefühl, aufzufallen, Grenzen anzustoßen. Wie immer in solch einem Fall, bin ich besonders freundlich, versuche (noch mehr als ohnehin) ins Gespräch zu kommen. Gestern war das nicht schwer – das Essen war so lecker, der grüne Tee schmeckte viel besser als zu Hause … Wir kommen wieder!

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