Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 16

27. Oktober 2021

Offenbar soll es nicht sein. Nachdem Emma am Sonntag wegen Krankheit nicht zu unserer Probe kommen konnte, von Olaf aber erstklassig vertreten wurde, wollten wir gestern noch einmal, dieses Mal mit und für Emma proben. Doch Emmas Auto machte nicht mit, streikte.

Wir probten trotzdem. Mit Publikum. Ilka brachte ihre Freundin Claudia mit. Eine unglaublich fitte Siebzigjährige, deren Augen vor Lebenslust blitzen und die uns über eine Stunde lang eine sehr aufmerksame Zuhörerin war.

Als ich sie im Anschluss fragte, ob die Lesung sie neugierig auf das Buch gemacht habe, sagte sie knallhart: Nein.
Warum?
Weil ihr der Inhalt absolut vertraut ist. Sie kennt das alles aus ihrem unmittelbaren Umfeld. Aus dem Familien-, dem Freundes- und Bekanntenkreis.

Claudia ist kritisch und ungeimpft. Ihr Mann ist Mainstream und geimpft.

Nächste Woche will Claudia ihren Bruder besuchen. Er ist pflegebedürftig und sie haben sich lange nicht gesehen. Auf dem Weg dorthin, wollte sie auch gleich noch ihren anderen Bruder besuchen. Beide Brüder sind Mainstream und geimpft. Nun ist der Bruder, zu dem sie einen Abstecher machen wollte, richtig dolle erkältet. Allerdings will er sich nicht testen. Wenn er nämlich positiv wäre, begründet er,  könnte er seine Kinder und Enkel eine Zeitlang nicht sehen. So wird er Claudia nicht sehen, denn der ist ein Besuch unter diesen Umständen zu heikel. Sie ist Risikogruppe und ungeimpft.

Ein Deja´ vu. Vor einer Woche hatte Claudia die gleiche Situation mit ihrer besten Freundin. Diese war mit ihrem Mann im Urlaub auf Zypern. Im Vorfeld hatte Claudia ihre Freundin bereits gewarnt: „Hier ist es kalt, in Zypern ist es warm, du fliegst, bist also dicht mit anderen Menschen zusammen.“ „Vorsichtshalber“, das kündigte Claudia damals schon an, „möchte ich mich nach deiner Rückkehr eine Woche nicht mit dir treffen. Es ist anzunehmen, dass du krank wirst.“ Das wurde die Freundin tatsächlich. Und auch der Mann, der übrigens als Helfer in einem Testbus arbeitet. Zuerst erwischte es die Frau. Es begann damit, dass sie nichts mehr roch und schmeckte. Sichere Anzeichen! Dennoch meinte der Arzt, einen Corona-Test bräuchte sie nicht machen. Claudias Freundin war sich da nicht so sicher – sie hatte von Impfdurchbrüchen (woher stammt dieses Wort? Ist es auch eine Corona-Neuschöpfung?) gehört. Der Arzt ließ sich überreden, die Freundin aus medizinischen Gründen und somit kostenlos zu testen. Und siehe da, einen Tag später erfuhr sie, der Test war positiv. Ungeachtet aller Vorahnungen fuhr der Mann bis zum Vorliegen des Ergebnisses im Impfbus weiter durch die Gegend. Nun denke aber nicht, nachdem auch sein Test positiv gewesen war, wären die Besucher des Impfbusses, die in der Zeit, in der er dort munter seine Aerosole ausatmete, informiert worden.

Da bleibt einem doch die Spucke weg.

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