Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 26

6. November 2021

Reetzow, Apfelgarten. Ich liege auf der Couch, neben mir dampft der Tee, im Bauch gluckert mein Eis, Jens heizt den Kamin, im Haus verteilt ist die Familie – ich bin glücklich.

In letzter Zeit habe ich öfter solche Anflüge tief empfundenen Glücks. Dann will ich Sophie einfach umarmen, weil ich sie so liebhabe. Oder Hannes. Die beiden sträuben sich dagegen. Clara umarmt mit, streichelt mir über den Kopf, verwuschelt meine Haare und zeigt mir, dass sie die Große ist.

Im Moment singt sie durch die Wohnung.

Bis eben waren wir im Café Asgard. Alle Aufregung umsonst. Niemand hat nach irgendwelchen Gs gefragt. Niemand wollte, dass Clara, Hannes und ich eine Maske bis zum Sitzplatz tragen. Abstand war kein Thema. Im Gegenteil, der Kellner schaffte Nähe durch Clownerien – über Hedwig kippte ihm eine Tasse vom Teller, die er gerade noch so auffangen konnte. Wir zuckten alle zusammen, sahen schon den heißen Kaffee über Hedwig schwappen.

Die Tasse war leer. Der Keller ist ein Clown.

Als Hannes seinen heißersehnten Kartoffelpuffer entgegennehmen wollte, entglitten ihm die Gesichtszüge. Der Puffer war gerade mal fingernagelgroß. Herrlich. Wir haben so gelacht.

Ein Mann, der seinen Beruf lebt. Ich bin immer noch begeistert.

Und Corona spielte keine Rolle. Dafür habe ich mich beim Gehen bedankt.

Heute Morgen schrieb Camilla auf ihrem Telegramkanal Gedanken, die ihr unmittelbar aus dem Kopf gepurzelt waren. Für mich waren sie wie Fäden, die Probleme auf den Punkt brachten und ein gutes Gespräch mit Jens ermöglichten. Wir liegen doch dichter beieinander, als ich zuletzt dachte. Wenn ich es richtig verstanden habe, argumentiert Jens häufig aus der Sicht der Gesellschaft und will mich vor einem überflüssigen Anecken bewahren. Ich konnte ihm verständlich machen, dass Haltung zeigen für mich bedeutet, bei mir zu bleiben und dass mich anderes Handeln von mir entfernen würde.

Er schlug vor, unsere Selbsttests vom Morgen mit ins Asgard zu nehmen, vielleicht würden diese ausreichen… Ich hatte mich nicht getraut, ihm diese Idee vorzuschlagen.

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Camillas Text:

Anbei ein paar persönliche Gedanken heute am 06. November 2021:
*Wir siechen als Gesellschaft dahin im ewigen, erlernten und womöglich immanenten „es ist nun mal so“, „wie willst du das ändern?“* Wir brauchen wesentlich mehr Menschen, die sich für unser tatsächlich demokratisches Zusammenleben einsetzen, die klar und deutlich Nein zu Diskriminierung sagen, die Worten Taten folgen lassen, den Kopf hinhalten. Mit unserer Haltung, mit Kulturprojekten, Artikeln, mit Aufklärungsarbeit, wissenschaftlicher Recherche, als Rede, als Gastronom, der nein zu 2G sagt, als Jurist, der laut wird, als Bürger im tagtäglichen Leben, als Vorbild für unsere Kinder. Denn die Veränderung kommt – wie wir wissen – immer von unten, so gut wie nie von oben. Aktuell siechen wir aber als Gesellschaft weiter dahin im ewigen, erlernten und vielleicht sogar immanenten „es ist nun mal so“, „wie willst du das ändern?“. Mein Vater sagte immer: „Wie stellst du dir das vor? So einfach ist das nicht!“ Ich sehe das anders. Mann, Frau, Kind kann immer etwas ändern. Aber das bedeutet viel Kraft, Mut, Abwägung, und meist alleine dastehen. Nicht jeder kann in der ersten Reihe agieren, an der Front stehen, das ist außer Frage. Es gilt das bloße Überleben zu verteidigen. Dennoch: die zweite, dritte, vierte Reihe ist ebenso wichtig. Wir müssen zusammenhalten, uns stärken, wesentlich mehr Mut (jeder in seiner Form) aufbringen. Jeden Tag. Aufgeben und hinnehmen ist kein Weg. Niemals. Ich weiß wovon ich spreche: meine Schwester hat sich das Leben genommen. Vor Corona. Warum schreibe ich das? Weil ich mich hier auf Informationen, Menschen, Projekte konzentrieren möchte, die uns weiterbringen. Schauermeldungen von Lauterbach, Ramelow und Co. bekommt ihr sowieso, in anderen Kanälen. Auch das ist wichtig. Information ist fundamental. Meine wunderbare Freundin B. sagt: „Wenn ich die Meditation nicht hätte, würde ich kaputtgehen.“ Das ist ihr Weg. Sich innerlich stärken, um die äußeren Dinge besser konfrontieren zu können. Um z.B. aktuell gestärkt aufstehen zu können für unser demokratisches Zusammenleben. In einem Artikel von mir über ein Kulturprojekt im Libanon, der nun nicht erscheinen darf, weil die Protagonisten sich nicht mit Deutschland vergleichen lassen wollen und plötzlich meinen, dass die Corona-Politik nichts mit ihrem sehr kritischen Kultur-Projekt zu tun habe, schrieb ich: In Deutschland hat das demokratische System, der Justiz-Apparat bis vor Corona anscheinend funktioniert. Das Vertrauen in Regierungsvertreter und Rechtssystem war groß. Auch die Leitmedien als Garant für die Demokratie schienen ihre Aufgabe zu erfüllen. Mit der Corona-Politik aber, der offenen Diskriminierung Ungeimpfter, der evidenzlosen Schuldzuweisung an Ungeimpfte, der Vorverurteilung aller Künstler, Wissenschaftler, Politiker oder Privatpersonen, die es wagen die Corona-Politik in Frage zu stellen, sowohl durch die Gesellschaft, durch die Politiker und auch durch die Leitmedien, zerstören wir mutwillig unser demokratisches Gefüge und tragen wissentlich zur weiteren Spaltung der Gesellschaft bei. Die Passivität und Akzeptanz eines Großteils der Bevölkerung und die fehlende Handlungsbereitschaft der Justiz verstärken zudem die massive Erschütterung unseres demokratischen Systems.
Ich wünsche euch einen guten Tag und freue mich über Kommentare. Herzlich, Camilla

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In Leipzig laufen zur Stunde (19 Uhr) mehr als zehntausend Menschen in mehreren friedlichen Zügen durch die Stadt und demonstrieren für unsere Grundrechte.

Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 23

3. November 2021

Hinter meinen Augen sitzt ein großes Heulen. Eine Erschütterung von unerwarteter Seite. Ilka hatte plötzlich ein komisches Gefühl und wusste nicht mehr, ob sie im Theater unterm Dach mit mir lesen würde. Weil es ein Sonntag ist und ab Dienstag für sie Prüfungszeit. Ob ich sie verstehe, wollte ich wissen. In mir schwindelte und rödelte es. Was da alles dranhängt. Mir wird gleich wieder schwindelig, wenn ich daran denke. Mindestens zwei Proben – mit wem?

Heute Morgen wachte Ilka mit einem „Ja“ zur Lesung auf. Mir fielen unendlich viele Steine von der Brust, aus dem Herzen. Ein paar jedoch sitzen noch fest. Die Erwägung einfach so im Stich gelassen zu werden. Ich bin Mannschaftssportler. Ein Unding für mich.

Wie geht es weiter? Kann ich mich verlassen? Bin ich dann vielleicht irgendwann verlassen?

Camilla schreibt heute in ihrem Telegrammkanal Artikel 19 – Menschenrechte: kurze private Info: Auch der letzte Freund von mir hat sich nun impfen lassen – „ja, ich habe meinen Körper verkauft“ – weil es nicht mehr anders geht, sagt dieser sehr gute Freund. Wir wollen an den Veranstaltungen teilnehmen. Mir ist zum Heulen zumute. Gruß Camilla

Ich schrieb Camilla und fragte sie gleich nach Richard David Precht. Sie sagt, sie glaube ihm kein Wort. Heißt das, das Schiff sinkt?

Während die Zeitungen noch immer eine Pandemie der Ungeimpften propagieren, kursieren in den Alternativmedien Zahlen, die auf eine Pandemie der Geimpften deuten.

Paula und Bea vom Freizeithaus haben Corona.

Ina fehlt in meinem „Briefwechsel“ der Humor, Fotos von Slapsticks. Ihr Lieblingsbeispiel: Beim Bäcker um die Ecke prangt ein Schild mit einem Bild – die Botschaft: Nur zwei Menschen mit Maske dürfen in den Laden. Ina hat der Belegschaft erklärt, dass, wenn also zwei Menschen mit Maske im Laden sind, laut ihres Schildes, alle nachfolgenden ohne Maske eintreten dürfen.

Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 18

29. Oktober 2021

Es geht los.
In Prenzlau.
Mit einem runden Tisch.
Hoffentlich.
Ein Historiker hat uns verraten, wie er es anfangen würde. Der Nordkurier muss initialzünden. Quasi einladen. Am Sonntag wollen wir Linden einen konkreten Plan aushecken. Fast waren wir ja schon mal so weit, ich glaube um Ostern, aber dann stand irgendwann doch viel mehr die systemische Arbeit im Focus.

Seit Wochen schon gehe ich nicht mehr zu unseren Lindenbaumtreffen. Allein wenn ich daran denke Mittwochabends loszustiefeln, wird mir schwindelig. Ganz in Echt. Ich denke, es zeigt ein Zuviel an. Ich genieße es, hier zu Hause zu sein und zu schreiben und mit der Familie zu sein.

Gestern Abend hatte unser Pfarrer eigentlich den Regisseur der Aktion „Allesdichtmachen“ Dietrich Pürner eingeladen. Er hatte auch zugesagt und gleichzeitig angefragt, ob er einen Historikerfreund mitbringen könne.
Inzwischen hat Dietrich Pürner das Land verlassen. Er kann hier nicht mehr das Leben leben, das er leben möchte. Er ist jetzt in Kroatien. Deshalb kam der Historiker alleine. Ich kannte ihn nicht, war aber gespannt, denn wenn unser Pfarrer einlädt, versprechen es immer bereichernde Veranstaltungen zu werden.

Drei Stunden waren die beiden im Gespräch. Der Historiker erzählte mit einer unglaublichen Lebendigkeit von seiner Sicht und flocht viele Anekdoten aus seinem eigenen Erleben ein. Immer wieder merke ich, dass mich diese Schilderungen eigenen Erlebens viel mehr erwischen als all die abstrakten Zahlen, die sich doch jeder irgendwie immer so zurechtbiegen kann, wie er sie braucht.

Schon seit Beginn der großen Umwälzung unserer aller Leben langt auch der Historiker immer wieder bei der verwunderten Erkenntnis an: Das hätte ich nie für möglich gehalten … Die widerspruchslose Hinnahme dieser Eingriffe in unser privatestes Leben.

Als 2019 die AfD im Osten teilweise auf 25 Prozent-Wählerstimmen kam, hatte er sich gefragt, wie die AfD wohl agieren würde, wenn sie tatsächlich Regierungsmacht bekäme. In seiner Phantasie wurden Unis geschlossen, Demos verboten und Widersprüchler diffamiert. Plötzlich nun kam das alles tatsächlich, aber aus entgegengesetzter Richtung.

Das Erschütterndste für ihn ist immer wieder die Erkenntnis, dass hinter all dem, hinter jeder Quarantäneanordnung des Gesundheitsamtes, hinter jeder Spielplatzabsperrung Menschen stecken, die das Spiel teilweise mit großer Kreativität mitmachen. Anfänglich zog der Historiker durch Berlin, um zu fotografieren, was die Leute sich haben einfallen lassen, um Spielplätze (Bei seinen Ausführungen wurde mir noch mal klar, wie absurd es ist, das kindliche Spiel zu kriminalisieren.) abzusperren – Bauzäune, Flatterbänder, Polizeiabsperrbänder, Schlösser, Drähte …

Als Historiker bestätigte er die Mentalität der Deutschen: die Lust am Gehorchen und das Aufpassen, dass andere auch gehorchen.

Auf sich selbst schauend, sagte der Historiker, er ginge durch die Gesellschaft, mit dem Gefühl, er gehöre nicht hierher. Als Historiker schaue er immer nach Kausalzusammenhängen, allerdings käme er bei dem, was hier seit achtzehn Monaten geschehe mit seiner Logik nicht mehr hinterher.

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In Anbetracht der Tatsache, dass ich heute, aufgewühlt vom langen Abend, den vielen Informationen und Begegnungen (ich glaube, ich kannte mehr als die Hälfte aller Zuhörer) ziemlich bescheiden geschlafen habe, ruhe ich mich jetzt noch ein Stündchen aus, bevor es nachher mit Ilka zu unserer szenischen Premierenlesung geht.

Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 11

22. Oktober 2021

Manchmal hat es den Anschein, es könnte sich demnächst vielleicht eventuell entspannen.  Zum Beispiel, wenn der Focus online schreibt, dass bei 80 Prozent der offiziellen Covid-Toten Corona wohl nicht die Todesursache ist (30. August 2021) und der Uckermark Kurier heute  über gehäufte Impfdurchbrüche in Pflegeheimen (in Bad Doberan inzwischen mit mehr als zehn Toten) berichtet und sich der Epidemiologe Emil Reisinger von der Universitätsmedizin Rostock deshalb für eine neue gesetzliche Impfregelung für Mitarbeiter in sensiblen Bereichen ausgesprochen hat.

Es ist unglaublich. Immer wieder finden sich Leute, die sich trotz augenscheinlicher Wiedersprüche vor den Karren spannen lassen.

Die Impfquote – welch Vokabular – unter den Heimbewohnern beträgt 94 Prozent, die unter dem Personal 70 Prozent. Nun frage ich mich, wer ist denn erkrankt und wer stirbt? Die Ungeimpften? Ich fürchte „nein“. Die Ungeimpften aber, das geht aus dem Subtext hervor, haben die Seuche eingeschleppt. Logisch.
Auch im Neunbrandenburger Bonhoeffer-Klinikum sind 13 Covid-Fälle aufgetreten. Wer ist dafür verantwortlich? Der UckermarkKurier schreibt: „Das Krankenhaus vermutet, dass eine ungeimpfte Mitarbeiterin das Virus eingeschleppt hat“. Ich frage mich, wie kann das gehen? Die wird doch mit Sicherheit jeden Tag getestet. Im Gegensatz zu ihren geimpften Kollegen.

Was kommt beim Leser an? Diese billige Meinungsmache …

Mein Osteopath meint, viele Leute bekämen schon mit, was hier gespielt wird – er erzählt von seinem Chef, der aber keinen Rückzieher machen kann, weil er dann entblößt dasteht und wohl fürchtet, seinen gut bezahlten Posten zu verlieren. Wie sagte Hans Joachim Maaz bei seinem Vortrag in der Malchower Kirche: Der Narzist kann und wird keinen Fehler zugeben. Offenbar ist unsere Gesellschaft noch viel, viel narzistischer als ich es je für möglich gehalten habe.

Und selbst wenn solche Ungeheuerlichkeiten wie die 80 Prozent, die offenbar – oh, wir Verschwörungstheoretiker – gar nicht an Corona gestorben sind, plötzlich in den Mainstreammedien publik gemacht also zugegeben werden, dann passiert gar nichts. Das wird überlesen, ignoriert … oder was???? Ich verstehe es nicht. Das ist doch ´ne Bombe (die wievielte inzwischen?), die alles hochgehen lassen müsste.

Macht sie aber nicht. Sie bewirkt gar nicht.

Da kann ich nur den Kopf schütteln. Und echt auch mal wütend werden. Eineinhalb Jahre kämpfe ich hier und meine Freunde, Familie, Kollegen, Vorbilder die machen alles mit, die nicken alles ab. Hatten die keinen Geschichtsunterricht? Sind die gutgläubig? Uninformiert? Bestrebt nicht aufzufallen? Egoistisch? Ah nein, das bin ja ich – weil ich mich nicht impfen lasse … Scheiße!!!