Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 12

23. Oktober 2021

„Wenn du ein Unglück malen willst, malst du ein Unglück. Es macht keinen Sinn etwas zu malen, was die anderen erwarten“, sagt der Papa in Judith Kerrs Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ zu Anna, seiner Tochter.

Jens riet mir neulich, den „Briefwechsel Teil II“ zwar jetzt zu schreiben, aber noch nicht jetzt zu drucken und zu veröffentlichen. Er empfahl mir, erst mal wieder mit einer Kindergeschichte weiterzumachen, einfach auch um Geld zu verdienen. Das spukt mir im Kopf. Weiß er, dass sich meine Kindergeschichte um das Virus Tabulara dreht?

Anna Kemper (alias Judith Kerr) fragt ihren Papa (alias Alfred Kerr) warum er gegen Hitler schreibt. Der Vater antwortet: „Ich habe keine Lust ängstlich zu sein.“

Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 11

22. Oktober 2021

Manchmal hat es den Anschein, es könnte sich demnächst vielleicht eventuell entspannen.  Zum Beispiel, wenn der Focus online schreibt, dass bei 80 Prozent der offiziellen Covid-Toten Corona wohl nicht die Todesursache ist (30. August 2021) und der Uckermark Kurier heute  über gehäufte Impfdurchbrüche in Pflegeheimen (in Bad Doberan inzwischen mit mehr als zehn Toten) berichtet und sich der Epidemiologe Emil Reisinger von der Universitätsmedizin Rostock deshalb für eine neue gesetzliche Impfregelung für Mitarbeiter in sensiblen Bereichen ausgesprochen hat.

Es ist unglaublich. Immer wieder finden sich Leute, die sich trotz augenscheinlicher Wiedersprüche vor den Karren spannen lassen.

Die Impfquote – welch Vokabular – unter den Heimbewohnern beträgt 94 Prozent, die unter dem Personal 70 Prozent. Nun frage ich mich, wer ist denn erkrankt und wer stirbt? Die Ungeimpften? Ich fürchte „nein“. Die Ungeimpften aber, das geht aus dem Subtext hervor, haben die Seuche eingeschleppt. Logisch.
Auch im Neunbrandenburger Bonhoeffer-Klinikum sind 13 Covid-Fälle aufgetreten. Wer ist dafür verantwortlich? Der UckermarkKurier schreibt: „Das Krankenhaus vermutet, dass eine ungeimpfte Mitarbeiterin das Virus eingeschleppt hat“. Ich frage mich, wie kann das gehen? Die wird doch mit Sicherheit jeden Tag getestet. Im Gegensatz zu ihren geimpften Kollegen.

Was kommt beim Leser an? Diese billige Meinungsmache …

Mein Osteopath meint, viele Leute bekämen schon mit, was hier gespielt wird – er erzählt von seinem Chef, der aber keinen Rückzieher machen kann, weil er dann entblößt dasteht und wohl fürchtet, seinen gut bezahlten Posten zu verlieren. Wie sagte Hans Joachim Maaz bei seinem Vortrag in der Malchower Kirche: Der Narzist kann und wird keinen Fehler zugeben. Offenbar ist unsere Gesellschaft noch viel, viel narzistischer als ich es je für möglich gehalten habe.

Und selbst wenn solche Ungeheuerlichkeiten wie die 80 Prozent, die offenbar – oh, wir Verschwörungstheoretiker – gar nicht an Corona gestorben sind, plötzlich in den Mainstreammedien publik gemacht also zugegeben werden, dann passiert gar nichts. Das wird überlesen, ignoriert … oder was???? Ich verstehe es nicht. Das ist doch ´ne Bombe (die wievielte inzwischen?), die alles hochgehen lassen müsste.

Macht sie aber nicht. Sie bewirkt gar nicht.

Da kann ich nur den Kopf schütteln. Und echt auch mal wütend werden. Eineinhalb Jahre kämpfe ich hier und meine Freunde, Familie, Kollegen, Vorbilder die machen alles mit, die nicken alles ab. Hatten die keinen Geschichtsunterricht? Sind die gutgläubig? Uninformiert? Bestrebt nicht aufzufallen? Egoistisch? Ah nein, das bin ja ich – weil ich mich nicht impfen lasse … Scheiße!!!

Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 10

21. Oktober 2021

Emmas Robert ist unglücklich. Er versteht seine Freunde nicht mehr. Um ihret Willen hat er sich impfen lassen. Durch Emma weiß ich, wie sehr er damit gerungen hat. Und Emma mit ihm. Gegen ihn. Gegen seine Freunde. Wie viele junge Menschen erachten auch die Freunde von Robert das Impfen als einen Akt der Solidarität. Robert ist 25. Mit den meisten seiner Freude verbindet ihn seit mehr als zehn Jahren ein enges Band. Corona hat es gespannt. Ziemlich straff. Die Impfung sollte es wieder lockern, geschmeidiger machen. Am Wochenende waren die Freunde zusammen unterwegs. Wenn man heute unterwegs ist, wird man unweigerlich mit der Frage nach 3- bzw. 2G konfrontiert. Wenn man 1G-eimpft ist, kann es aber auch passieren, dass man gar nicht mitbekommt, dass auf dem Weg von 3G zu 2G Menschen auf der Strecke bleiben.

Wo sind all diejenigen, die gesagt haben, wenn die Ungeimpften ausgeschlossen werden, bin ich der/die Erste, die auf die Straße geht? Gerade letzte Woche habe ich mich mit Sophie darüber unterhalten, über die Regeln, die an Unis Einzug halten, nach denen sich Studenten, die nicht geimpft sind, zwei, drei Mal die Woche testen lassen müssen – für zwei, drei Mal jeweils mindestens 19,90€. Andere Regeln schreiben vor, dass getestet, aber nicht geimpfte Personen, im Hörsaal in separaten Bereichen mit Abstand sitzen müssen. An der Medizinischen Fakultät in Neuruppin muss keine Maske getragen werden, solange alle Studierenden geimpft oder genesen sind. Sobald jedoch ein ungeimpfter Student dazukommt, müssen alle eine Maske aufsetzen. Da werden sich alle freuen.

Gestern schrieb die Frankfurter Rundschau, dass an der Frankfurter Universitätsklinik Personen, die weder geimpft noch genesen seien, nicht auf den Campus und noch weniger in die Hörsäale dürften.

Robert fragte seine Freunde, wie sie solche Regelungen fänden. Darauf, erzählte mir Emma, entbrannte eine heiße Diskussion, an deren Ende Robert sich, obwohl nun geimpft, dennoch nicht mehr ganz dazugehörig fühlte. So wie seine Freunde argumentieren, reicht es nicht, einfach nur geimpft zu sein, nein, man muss auch überzeugt geimpft sein und das impliziert offenbar den Ausschluss der Ungeimpften.

Am Wochenende ist Robert zu einer Party eingeladen. Emma sagt, er habe überhaupt keine Lust dorthin zu gehen.

Ich kann ihn verstehen. Er müsste etwas von sich abspalten. Will er das? Kann er das überhaupt?

Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit/ Tag 9

20. Oktober 2021

Gestern habe ich die erste Folge von „Cui bono“ gehört. Wie soll man unvoreingenommen sein, wenn in der Einführung gepriesen wird, dass das Amt für politische Bildung den Podcast gefördert habe und man auf den Seiten des Amtes ein Nachschlagewerk für Begriffe, wie zum Beispiel Verschwörungstheoretiker, eingerichtet habe. Die Sendung war interessant, aber der rote Faden ganz klar: Um berühmt zu werden, würde Jebsen so ziemlich alles tun. Berühmt zu werden, sei immer sein großes Ziel gewesen. Stagnation und rückläufige Zahlen machten ihn bockig und zunehmend politisch. Ich bin gespannt, wohin die Reise geht. Es ist gut gemacht, aber: über Ken Jebsen, nicht mit Ken Jebsen. Und ganz offensichtlich (jedenfalls für mich) mit einer Absicht.

Inga hatte gesagt, Ken Jebsen sei (vielleicht, das hatte Inga nicht klar formuliert) angefragt worden, habe sich aber bis heute nicht zu „Cui bono“ geäußert. Ich höre mal weiter und recherchiere nebenbei eine eventuelle Anfrage.

Steinchen und ihr Mann Claas haben auf ihrer dreiwöchigen Oder-Neiße-Radtour bei uns Rast gemacht. Wir hatten einen schönen redseeligen Abend. Komplett ohne Corona, wie ich heute Morgen unter der Dusche staunend rekapitulierte. Beim Frühstück kamen wir dann aber doch noch darauf zu sprechen. Durch Facebook wissen die beiden von meiner Haltung und ich glaube von ihrer zu wissen. Irgendwann Anfang des Jahres hatte Claas mal gefordert, dass das Schulpersonal bevorzugt geimpft werden sollte. Da Steinchen Erzieherin ist, nehme ich mal an, dass sie dringend  geimpft werden wollte.

Claas erzählte ein wenig, wie ihm die Maßnahmen zugesetzt haben. Vor allem das Homeoffice. Jeden Tag zu Hause, jeden Tag den gleichen Blick in den Garten. Natürlich weiß er, dass das Jammern auf hohem Niveau ist, das sagte er sich auch immer wieder, um es irgendwie auszuhalten. Er wollte raus, wollte Abwechslung, einfach mal was anderes sehen. Als Brillenträger macht ihm auch die Maske zu schaffen. Er hofft, das im nächsten Frühjahr alles vorbei sein wird und das Leben dann wieder wie vorher. Über Corona diskutieren mag er nicht. Die Fronten sind verhärtet. Das, was mein Ansinnen ist, sagt er, sei ungewöhnlich, das sei für andere gar nicht verständlich, Informationen streuen, um sich dann auszutauschen …

Über Herrn Wieler, diesen Tierarzt könne er nur lachen. Der widerspräche sich ja in einer Woche drei Mal. Damit hat auch das RKI für ihn keine Glaubwürdigkeit. Am schlimmsten aber fände er die senilen Herren von der STIKO, die sich dem politischen Druck gebeugt hätten. Ich habe nichts dazu gesagt. Ich denke, ich halte eine ganz andere Form des Drucks für möglich, als Claas sich jemals ausmalen könnte.

Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 8

19. Oktober 2021

Da standen wir nun im „Grünen Baum“, Jens mit Maske, ich ohne, vor einem maskierten Kellner, der seine Bücher nach meiner Reservierung wälzt und nachdem er diese gefunden hatte, fragt: „Sie haben eins der drei G´s?“ Nee, hatten wir natürlich nicht. „Ja, aber sie müssen geimpft, genesen oder getestet sein. Hat Ihnen das bei der Reservierung niemand gesagt?“ Nee. Und außerdem, nun ratterte ich mein gesamtes UckermarkKurier-Wissen herunter, ist doch in der Uckermark 3G außer Kraft gesetzt, weil die Inzidenz so niedrig ist. Bei 11,6. 3G gilt erst wieder ab 35.“ Uh, der Kellner war überfahren. Was sollte er tun? „Da muss ich meine Chefin fragen“. Die wusste zum Glück Bescheid. Jetzt galt es nur noch die Maskenpflicht zum Sitzplatz durchzusetzen. „Ich habe eine Befreiung – mit!“ Jens hub gerade an, mir erklären zu wollen, dass ich bis zum Platz, die paar Meter … dann fiel ihm wieder ein, dass es für mich (vor allem) auch eine Haltungsfrage ist.

Nun hatten wir ein Gesprächsthema. Meine Haltung. Aber die paar Meter bis zum Platz. Das, argumentierte Jens, sei doch der kleinste gemeinsame Nenner. Da würde ich zeigen, dass ich auf die Mehrheit zuginge. Die Mehrheit, alles klar. Die, das unterstelle bzw. höre ich ja alle überall, so genervt ist, dass sie nichts mehr hören will. Wie der Kellner, der nicht mal die geltenden Regeln mitbekommt. Die Mehrheit, die nicht hinterfragt. Was mache ich hier die ganze Zeit? Das tue ich doch nicht zum Spaß. Gerade bei der Maske hört es bei mir auf.

Dank der Aktion „AllesaufdenTisch“, habe ich gerade eine neue Erkenntnis. Die Sängerin Emily Instiful befragte den Lungenarzt und ehemaligen Ingenieur Professor Dr. Dieter Köhler zur Maske. Professor Köhler erklärte, dass es totaler Humbug sei, in einem Restaurant zum Tisch die Maske zu tragen, um sie dort dann abzunehmen. Große, offene, hohe Räume bergen so gut wie keine Ansteckungsgefahr. Die Aerosole streben sofort nach oben, unter die Decke. In kleinen, engen Räumen, wie zum Beispiel der Gaststättentoilette oder einem Fahrstuhl mache die Maske Sinn und sei zu fünfzig Prozent wirkungsvoll. Die anderen fünfzig Prozent entweichen an den Seiten der Maske. In einem Fahrstuhl, sagte er weiter, könne man sich sogar anstecken, wenn die infizierte Person selbst gar nicht mehr im Fahrstuhl sei. Überaus positiv fand ich, dass Professor Köhler offenbar niemand war, der den Aktionisten von „AllesaufdenTisch“ nach dem Mund redete. Masken für Kinder, ob die nun Sinn machten oder nicht, findet er komplett unbedenklich, dass die Kinder einen Schaden davon tragen würden, halte er für Quatsch. Emily Instifuls Gegenargumente ließ er nicht gelten.

Schön war, dass ich in Jens´ und meinem Streitgespräch dieses Mal keine Schärfe entdecken konnte, nur ein Sichverstehenwollen.

Jens würde gerne mit mir zusammen seine Schwester und deren Mann in den „Grünen Baum“ einladen. Ich mahnte: dann aber schnell, bevor 3G käme. Natürlich findet Jens einen Test nicht schlimm. Zwei Mal hat er sich bislang testen lassen, ganz vorsichtig, wurde ihm am Nasenflügel gebohrt – die Leute sagt er, hätten doch alle keinen Bock mehr. Ich kenne andere Geschichten. Tanja hatte noch vier Wochen nach dem Test das Gefühl, einen Fremdkörper in der Nase zu haben und war deshalb beim HNO. Unvergesslich ist mir Kathis Erzählung, wie ihrer kleinen Maxie das Stäbchen bis zum Anschlag ins Näschen gesteckt wurde. Wenn ich daran denke, tuts mir schon weh. Und Elke, sagte mir nach ihrem Test vor zwei Wochen, es habe tierisch gebrannt. Wenn es Not täte, würde ich das alles aushalten, aber ich bin davon überzeugt: es tut nicht not!

Wenn ich mich selbst beobachte, stelle ich fest, wie sehr ich auf der Hut bin, wie ich versuche auszuloten, wer wie denkt, wann und wo ich wie ankomme, ob da Ablehnung ist, Zustimmung, vielleicht sogar Freude oder einfach Seinlassen. Im „Grünen Baum“ hatte ich das Gefühl, aufzufallen, Grenzen anzustoßen. Wie immer in solch einem Fall, bin ich besonders freundlich, versuche (noch mehr als ohnehin) ins Gespräch zu kommen. Gestern war das nicht schwer – das Essen war so lecker, der grüne Tee schmeckte viel besser als zu Hause … Wir kommen wieder!