Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 23

3. November 2021

Hinter meinen Augen sitzt ein großes Heulen. Eine Erschütterung von unerwarteter Seite. Ilka hatte plötzlich ein komisches Gefühl und wusste nicht mehr, ob sie im Theater unterm Dach mit mir lesen würde. Weil es ein Sonntag ist und ab Dienstag für sie Prüfungszeit. Ob ich sie verstehe, wollte ich wissen. In mir schwindelte und rödelte es. Was da alles dranhängt. Mir wird gleich wieder schwindelig, wenn ich daran denke. Mindestens zwei Proben – mit wem?

Heute Morgen wachte Ilka mit einem „Ja“ zur Lesung auf. Mir fielen unendlich viele Steine von der Brust, aus dem Herzen. Ein paar jedoch sitzen noch fest. Die Erwägung einfach so im Stich gelassen zu werden. Ich bin Mannschaftssportler. Ein Unding für mich.

Wie geht es weiter? Kann ich mich verlassen? Bin ich dann vielleicht irgendwann verlassen?

Camilla schreibt heute in ihrem Telegrammkanal Artikel 19 – Menschenrechte: kurze private Info: Auch der letzte Freund von mir hat sich nun impfen lassen – „ja, ich habe meinen Körper verkauft“ – weil es nicht mehr anders geht, sagt dieser sehr gute Freund. Wir wollen an den Veranstaltungen teilnehmen. Mir ist zum Heulen zumute. Gruß Camilla

Ich schrieb Camilla und fragte sie gleich nach Richard David Precht. Sie sagt, sie glaube ihm kein Wort. Heißt das, das Schiff sinkt?

Während die Zeitungen noch immer eine Pandemie der Ungeimpften propagieren, kursieren in den Alternativmedien Zahlen, die auf eine Pandemie der Geimpften deuten.

Paula und Bea vom Freizeithaus haben Corona.

Ina fehlt in meinem „Briefwechsel“ der Humor, Fotos von Slapsticks. Ihr Lieblingsbeispiel: Beim Bäcker um die Ecke prangt ein Schild mit einem Bild – die Botschaft: Nur zwei Menschen mit Maske dürfen in den Laden. Ina hat der Belegschaft erklärt, dass, wenn also zwei Menschen mit Maske im Laden sind, laut ihres Schildes, alle nachfolgenden ohne Maske eintreten dürfen.

Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 22

2. November 2021

Was hält Freundschaft aus? Kann man eine Freundschaft pausieren lassen? Während Corona?

Und danach weitermachen als sei nichts gewesen? Wenn es denn ein Danach gibt. Kann eine Freundschaft so etwas aushalten? Ist es dann noch eine Freundschaft?

Als Hans-Joachim Maaz während seines Vortrags in der Kirche von Malchow gefragt wurde, was er als Psychologe empfehlen würde zu tun, wenn nach dreißig Jahren wegen unterschiedlicher Ansichten zu Corona eine Ehe auf dem Spiel stünde, antwortet er: ER würde die beiden Eheleute auffordern, Corona einfach einmal zu vergessen und zu schauen, was es in der Vergangenheit sonst an Differenzen im Zusammenleben gab. Maaz ist überzeugt, dass sich schnell zeigen würde, dass etwas im Untergrund schlummere, was nun durch Corona nach oben drängen würde.

Bei Freundschaften wird es wohl nicht anders sein.

Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 21

1. November 2021

Könnte es sein, dass viele Menschen sich nicht (mehr) mit dem Wirrwarr um Corona auseinandersetzen wollen, um sich vor Schwindel zu schützen? Könnte es nicht sein, dass bei vielen Menschen schon diese so unmittelbare Realität ausreicht, um ins Schwanken zu kommen. Nehmen sie hin, um aushalten zu können?

Papa sagt sobald es ihm zu viel wird ganz klar: Hör auf, mir wird schlecht.

Katharina schrieb mir, wie sehr ihr unser letztes Corona-Gespräch (es liegt bestimmt sechs Monate zurück) zugesetzt habe.

Heute fragte mich Cindy aus der Kaufhalle, wie ich mich ständig mit diesem Thema beschäftigen könne. Sie kann es nicht (mehr?), konnte es womöglich noch nie? Sie sagt, bis zum Ende der Oktoberferien ging es ihr richtig schlecht. Da sei ein permanenter Druck auf ihrer Brust gewesen. Wenn Leute lustig waren oder sogar einen Witz gerissen haben, konnte sie überhaupt nicht mehr mitlachen. Stattdessen hat sie sich gefragt, wie man in dieser Zeit lustig sein könne.

Das finde ich sehr heftig.

Wir stehen alle unter Dauerspannung.

Wann hört das auf?

Die Inszidenz steigt, schreibt der Nordkurier, schreiben vermutlich alle Zeitungen. Ja und?

Die Freundin von Judiths Tochter Mara ist positiv getestet. Nun muss Mara in Quarantäne. Ihre geimpften Mitschülerinnen und Lehrer nicht. Angesichts der vielen Impfdurchbrüche – für die in der offiziellen Schreibung selbstverständlich immer irgendwelche Ungeimpften verantwortlich gemacht werden – ist das einfach nicht nachzuvollziehen. Das ist reine Politik.

Jens hat in der Apotheke nachgefragt. Demnach bin ich nicht mehr testberechtigt, d.h. in meinem Haus, für meinen Verlag schon, aber draußen gelten diese Tests nichts. Was mache ich nun im Asgard? Die haben doch keine Ahnung, wer berechtigt ist und wer nicht. Jens will politisch korrekt sein. Auch wenn diese Politik nur dazu dient, den Leuten Impfdruck zu machen. Es gibt doch keine vernünftige Erklärung dafür, dass (wie auch immer) ausgebildete Menschen, die jetzt ein Jahr lang andere Menschen testen durften, plötzlich nicht mehr testen dürfen? Vielleicht soll sich niemand außer der Reihe eine goldene Nase verdienen. Dann sollen sie die Tests einfach kostenfrei und dann aber auch für alle verpflichtend machen.

Wo geht es hin?

Mein Historikerfreund fürchtet, unser nächstes gesellschaftliches Modell könnte sich am chinesischen System orientieren.

Das will ich nicht!!! Ich will und ich kann nicht weggucken, um irgendwann einer scheindemokratischen Diktatur aufzuwachen. Dann nämlich schwankt meine Welt nicht nur, dann steht sie Kopf.

Im Moment jedoch lebe ich in einem ZUVIEL.

Mein Osteopath rief an. Am Freitag guckt er mich an. Er mutmaßt, dass mehrere Komponenten zusammengekommen sind und den kurzzeitigen Knockout verursacht haben. Bezüglich meines Fußes sagte er: Bei all dem, was uns seit eineinhalb Jahren wiederfährt, ist es kein Wunder, wenn unter uns der Boden ins Schwanken gerät. Und bemerkbar mache sich das zuallererst einmal in der Standfestigkeit.

Anlässlich Allerheiligen fand gestern ein Festgottesdienst in Malchow statt. Pfarrer D´s Bischof (oder nächster Vorgesetzter) hatte wieder einmal abgesagt. Er wolle sich, so seine Begründung, nicht mit Pfarrer D. und dessen Ansichten gemein machen. Für ihn sprang Pfarrer Martin Michaelis aus Quedlingburg ein – auch einer von uns, wie Pfarrer D. mit schelmischen Augenzwinkern ankündigte. Ulf und Vicky waren ganz begeistert. Pfarrer D. hat mir die Predigt zugeschickt. Noch habe ich sie nicht gelesen. Dafür aber habe ich Martin Michaelis auf dem Weg zum Abholen der Kinder bei der Aktion AllesaufdenTisch im Gespräch mit dem Chansonsänger Boris Steinberg gehört. Das Gespräch hat mir richtig Lust gemacht, die Bibel zu lesen. Etliches darin, sagt Martin Michaelis lese sich so, als sei es für heute geschrieben. Vieles lese er jetzt neu. Außerdem führte er seine Sicht zur Angst der Menschen und der Angstmacherei aus. Ganz spannend und absolut nachvollziehbar finde ich die Idee, dass bei vielen Menschen mit der Impfung nicht die Angst vor dem Virus verschwunden sei, sondern dass sich eine zweite Angst, nämlich die vor Nebenwirkungen hinzugesellt habe. Daraus resultiere auch die Verunglimpfung der Ungeimpften, denn diese empfänden die Geimpften als (ihren) personifizierten Zweifel.

Was würde passieren, wenn wir alle wegguckten? Weil es anstrengend und manches Mal schwindelerregend ist, hinzugucken und sich auseinanderzusetzen? Ist es nicht wesentlich leichter gemeinsam zu gucken, zu hinterfragen und sich auseinanderzusetzen, weil die Kräfte dann besser verteilt wären?