Tagebuch einer ver-rückten Zeit

Tagebuch einer ver-rückten Zeit / Tag 10

21. Oktober 2021

Emmas Robert ist unglücklich. Er versteht seine Freunde nicht mehr. Um ihret Willen hat er sich impfen lassen. Durch Emma weiß ich, wie sehr er damit gerungen hat. Und Emma mit ihm. Gegen ihn. Gegen seine Freunde. Wie viele junge Menschen erachten auch die Freunde von Robert das Impfen als einen Akt der Solidarität. Robert ist 25. Mit den meisten seiner Freude verbindet ihn seit mehr als zehn Jahren ein enges Band. Corona hat es gespannt. Ziemlich straff. Die Impfung sollte es wieder lockern, geschmeidiger machen. Am Wochenende waren die Freunde zusammen unterwegs. Wenn man heute unterwegs ist, wird man unweigerlich mit der Frage nach 3- bzw. 2G konfrontiert. Wenn man 1G-eimpft ist, kann es aber auch passieren, dass man gar nicht mitbekommt, dass auf dem Weg von 3G zu 2G Menschen auf der Strecke bleiben.

Wo sind all diejenigen, die gesagt haben, wenn die Ungeimpften ausgeschlossen werden, bin ich der/die Erste, die auf die Straße geht? Gerade letzte Woche habe ich mich mit Sophie darüber unterhalten, über die Regeln, die an Unis Einzug halten, nach denen sich Studenten, die nicht geimpft sind, zwei, drei Mal die Woche testen lassen müssen – für zwei, drei Mal jeweils mindestens 19,90€. Andere Regeln schreiben vor, dass getestet, aber nicht geimpfte Personen, im Hörsaal in separaten Bereichen mit Abstand sitzen müssen. An der Medizinischen Fakultät in Neuruppin muss keine Maske getragen werden, solange alle Studierenden geimpft oder genesen sind. Sobald jedoch ein ungeimpfter Student dazukommt, müssen alle eine Maske aufsetzen. Da werden sich alle freuen.

Gestern schrieb die Frankfurter Rundschau, dass an der Frankfurter Universitätsklinik Personen, die weder geimpft noch genesen seien, nicht auf den Campus und noch weniger in die Hörsäale dürften.

Robert fragte seine Freunde, wie sie solche Regelungen fänden. Darauf, erzählte mir Emma, entbrannte eine heiße Diskussion, an deren Ende Robert sich, obwohl nun geimpft, dennoch nicht mehr ganz dazugehörig fühlte. So wie seine Freunde argumentieren, reicht es nicht, einfach nur geimpft zu sein, nein, man muss auch überzeugt geimpft sein und das impliziert offenbar den Ausschluss der Ungeimpften.

Am Wochenende ist Robert zu einer Party eingeladen. Emma sagt, er habe überhaupt keine Lust dorthin zu gehen.

Ich kann ihn verstehen. Er müsste etwas von sich abspalten. Will er das? Kann er das überhaupt?